Redebeitrag zu 100 Jahre Abschiebehaft (Ostermarsch)

Hallo zusammen,

wir sind Lea und Momo von der Anti-Rassismus AG der Uni Bielefeld.

2019 jähren sich mehrere Ereignisse. Zum einen besteht Abschiebehaft wie sie bis heute durchgeführt wird seit 100 Jahren. Zum anderen wurde vor 25 Jahren in Büren der größte Abschiebeknast für Männer in Deutschland eröffnet. Dort ist vor 20 Jahren Rashid Sbaai ums Leben gekommen- unter bis heute nie vollständig aufgeklärten Umständen.

Über die Geschichte von Abschiebehaft möchten wir euch heute etwas erzählen.

Vor 100 Jahren, das war 1919, war der Erste Weltkrieg beendet, die Weimarer Republik war gegründet und heute verbinden wir diese Zeit mit vermeintlichen Frieden. 1919 also wurde das Gesetz zur Abschiebehaft eingeführt. Ziel war es, eingewanderte und geflohene Jüd*innen zu inhaftieren und abzuschieben. Diese Jüd*innen waren vor Pogromen in Osteuropa geflohen, oder wurden im ersten Weltkrieg für die Produktion von Waffen nach Deutschland geholt. Für diese Internierungslager wurde übrigens erstmals der Begriff „Konzentrationslager“ verwendet. Bis heute existiert diese Strategie Deutschlands, Menschen für Arbeit aus allen Teilen der Welt zu holen, um sie dann einige Jahre später wieder loswerden zu wollen. Das ist beispielsweise an dem Umgang mit den Gastarbeiter*innen in den 80er und 90er Jahren zu sehen.

Während des dritten Reichs wurde Abschiebehaft in die von den Nazis verabschiedete Ausländerpolizeiverordnung aufgenommen und mehrfach massiv verschärft. Die unpräzise Formulierung – Zitat – „zur Sicherung der Abschiebung kann der Ausländer in Abschiebungshaft genommen werden“ – Zitatende – machte extreme Willkür möglich und schuf einen rechtlichen Rahmen, der Massenausweisungen vereinfachte. Alleine in den 2 Wochen vor der Reichspogromnacht wurden 18.000 polnische Jüd*innen in Abschiebehaft, das heißt in Konzentrationslager, gesperrt. Was mit den meisten dieser Jüd*innen passiert ist, wissen wir alle.

Nach dem Ende des dritten Reichs wurde der Gesetzestext der Nazis wortwörtlich von der Bundesrepublik Deutschland übernommen. Erst 1965 wurde das Gesetz überarbeitet, allerdings nicht um der nationalsozialistischen Praxis Einhalt zu gebieten, sondern um Abschiebehaft weiter auszuweiten. Dies geschah in erster Linie um Gastarbeiter*innen abzuschieben, die nach dem zweiten Weltkrieg für die Ankurblung der deutschen Wirtschaft angeworben wurden.

Auch als Reaktion auf die rassistischen Ausschreitungen Anfang der 1990er Jahre, wie in Rostock-Lichtenhagen, wurde die Gesetzeslage weiter verschärft und stärker als in den Jahren zuvor angewendet. Seit dieser Zeit ist laut Gesetzestext bei – Zitat – „begründetem Verdacht der Entziehung der Abschiebung“ – Zitatende – eine Inhaftierung rechtlich erlaubt. Hier ist wieder eine unpräzise Formulierung zu erkennen, die die Möglichkeit für eine willkürliche Inhaftierung von Geflüchteten bietet. „Begründeter Verdacht“ kann Vieles heißen. Zum Beispiel ist eine Inhaftierung erlaubt, wenn ein geflüchteter Mensch bei einer Abschiebung nicht anwesend war. Das Lächerliche daran ist, dass es gesetzlich nicht erlaubt ist über den Termin der Abschiebung zu informieren und keine Pflicht für den Menschen besteht, immer zu Hause zu sein. Eine andere Begründung für eine Inhaftierung kann sein, dass die geflüchtete Person „fahrig“ wirkt. Für manche Beamt*innen reicht dies als „begründeter Verdacht“ aus. – Ohne Scheiß, ist genau so passiert. – Um das noch mal deutlich zu machen: In Deutschland kommen Menschen in den Knast ohne eine Straftat begangen zu haben. Und über die Hälfte der Menschen in Abschiebehaft sitzen dort rechtswidrig, trotz dieser fragwürdigen Gesetzesformulierung

Als 2015 Deutschland die Grenzen für EINIGE Geflüchtete geöffnet hat, geschah dies nicht allein aus humanitären Gründen, sondern es fand auch eine Einteilung in vermeintlich nutzbare und nutzlose Geflüchtete durch den Staat statt. Der Rechtsruck der Gesellschaft hat diese Einteilung verstärkt und zu immer mehr Gesetzesverschärfungen geführt, um die vermeintlich nutzlosen Geflüchteten möglichst schnell und einfach wieder loszuwerden.

Seit 2017 müssen Menschen im Abschiebeknast Büren, die Beratung und Unterstützung wahrnehmen möchten, sich dafür auf Listen eintragen. Nur mit ihrer Unterschrift wird ihnen die Möglichkeit eingeräumt, Beratung in Anspruch zu nehmen. Das bedeutet nicht, dass ihnen diese auch tatsächlich erlaubt wird. Dies schürt Angst vor Repressionen durch die Gefängnisleitung bei den Geflüchteten. Oft braucht es den Druck der Berater*innen, damit Menschen, die bald einen Prozesstermin haben, Beratung erhalten. Zeitgleich dürfen dann aber keine weiteren Menschen zu der Beratung. Das bedeutet, dass bis zu 7 andere Berater*innen währenddessen nicht arbeiten können. Um nur ein Beispiel dafür zu nennen, wie der Zugang zu Hilfen erschwert wird.

Ende 2018 hat der Landtag NRW als neuste Maßnahme weitere Haftverschärfung für Büren beschlossen. Diese führen zu eingeschränkten Besuchsrechten, noch schwererem Zugang zu Beratung, Rechtsmitteln und Unterstützung durch Vereine, Institutionen und ehrenamtliche Helfer*innen. Nun liegt noch mehr Macht bei der Einrichtung. Die Wahrung der Grundrechte von Inhaftierten und Kontrollen von außen werden erschwert. Und das, obwohl die „Nationale Stelle zur Verhütung von Folter“ die Zustände in Büren bereits als besorgniserregend bezeichnet hat.

Auch andere Bundesländer planen Verschärfungen der Haftbedingungen in Abschiebehaft. Neue Abschiebeknäste, mit teils über 200 Plätzen sind geplant, gebaut und schon eröffnet. Dabei heißt Abschiebehaft nicht „Wohnen minus Freiheit“, wie uns der Landesinnenminister von Schleswig-Holstein weiß machen will.

Was die Aussage „Wohnen minus Freiheit“ suggeriert: Du kannst in deiner Wohnung hingehen wo du möchtest, wann du möchtest. Du kannst duschen, baden, dir selbst Essen kochen, stundenlang im Internet surfen, mit deinen Lieben chatten, telefonieren, skypen. Netflix oder jedes Fernsehprogramm schauen, auf das du Lust hast, in einer Sprache, die du verstehst. Laut deine Lieblingsmusik hören, tanzen und mitsingen, ohne dass es dir untersagt wird. Aus einem unvergitterten Fenster schauen, eine Ärztin, eine Anwältin, einen Reparaturdienst deiner Wahl anrufen, die dich ernst nehmen und dir bei deinen Problemen WIRKLICH helfen.

Faktisch bedeutet es Knast. Das beinhaltet: Nur eine Stunde Freigang am Tag. Aber nur, wenn nicht irgendein*e Vollzugsbeamt*in der Meinung ist, du hättest dich danebenbenommen. Du hast wenig Auswahl beim Essen. Du musst im selben Raum scheißen und pissen, in dem du schläfst. Du darfst nur zu bestimmten Zeiten ins Badezimmer zum Duschen etc. Du hast kaum „Freizeit“beschäftigung in deinem Raum oder während des Freigangs. Fernsehen in einer Sprache, die du kaum oder gar nicht verstehst, zählt wohl kaum als Freizeitbeschäftigung. Dein Handy kann dir aus Willkür abgenommen werden. Das heißt, du hast keine Möglichkeiten mehr, nach außen zu kommunizieren. Du darfst also nicht im Kontakt sein, wann und mit wem du willst, sei es zu deiner Familie, deinen Freund*innen, deinen Anwält*innen oder anderen Bezugspersonen. Bei defekten Sanität- und Heizanlagen kannst du sehr lange auf Reparatur warten. Du hast keinen oder nur sehr schlechten Zugang zu psychologischer und sonstiger medizinischer Beratung und Behandlung. Selbst wenn du den Zugang dann bekommst, wirst du selten ernstgenommen. Dir werden keine Dolmetscher*innen gestellt, sodass du dich weder mit den Vollzugsbeamt*innen, noch mit Ärzt*innen oder Berater*innen richtig verständigen kannst. Zu all dem kommen täglich Rassismus und Unterdrückung durch Angestellte, die Institution und den Staat.

Wer sitzt in Abschiebehaft? Vor allem Menschen aus vermeintlich sicheren Herkunftsländern, um diese besonders schnell und einfach abschieben zu können. Das heißt allerdings nicht, dass sie SICHER oder WEG sind, denn sie hatten gute Gründe ein erstes Mal zu fliehen. Und nur, weil in Deutschland kaum noch Menschen ankommen, heißt das nicht, dass keine Menschen mehr auf der Flucht sind.

So viel zur Geschichte der Abschiebehaft. Dahinter steckt die menschenunwürdige und rassistische Praxis von Abschiebung. Rassistisch deswegen, weil staatliche Strukturen nicht allen Menschen das gleiche Recht auf ein gutes, sicheres und lebenswertes Leben einräumen. Rassistisch deswegen, weil jeder Fluchtgrund erst vom Staat anerkannt werden muss, anstatt davon auszugehen, dass der Grund zur Flucht Grund genug ist. Gäbe es keine Abschiebungen, gäbe es auch keine Abschiebehaft. Darum fordern wir: STOPPT ABSCHIEBUNGEN, STOPPT ABSCHIEBEHAFT, FÜR SOLIDARITÄT MIT ALLEN FLÜCHTENDEN UND GEFLÜCHTETEN MENSCHEN AUF DER WELT!!!!

Wir laden euch herzlich zu den Demos am 12.5. in Büren und am 31.8. in Paderborn gegen Abschiebehaft ein!

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