Mit Wolfsgruß und Prügel wird demokratischer Protest in der Universität Bielefeld niedergeschlagen

 

Liebe Studierende und Mitarbeiter*innen, liebes Rektorat und zu guter Letzt liebe Öffentlichkeit,

am 21.11.2017 lud die türkisch-nationalistische Hochschulgruppe KulTürk den Politikwissenschaftler Dr. Sezer Özcan zur Veranstaltung „Syrian refugee crisis in Turkey. Research analysis of the facility camps in Gaziantep.“ ein.

Wer ist Dr. Sezer Özcan?
Dr. Sezer Özcan ist Alumni der „Bielefeld Graduate School in History and Sociology“ (BGHS) und arbeitet, nach eigenen Angaben auf Facebook, seit 2016 als Postdoc-Forscher an der Universität Bielefeld. Er gab im Wintersemester 2016/2017 ein Seminar über die historische Entwicklung der türkisch-europäischen Beziehungen.
Der Referent fiel mit einem Foto auf seiner Facebookseite auf, auf dem ein antisemitisches Zitat vom türkischen Schriftsteller Necip Fazil Kisakürek zu lesen ist. Necip Fazil Kisakürek ist für viele türkische Nationalisten und Islamisten ein großer intellektueller Einfluss. Das Zitat lautet wie folgt: „Der Kapitän: Ein Jude. Der Maschinist: Ein Freimaurer. Die Crew: Konvertiten. Ihr Kurs: Atheismus. Was erwartet ihr von dem Schiff der Freiheit?“ Diese Sätze stammen aus dem antisemitischen Theaterstück „Heiliges Vertrauen“. Die von Kisakürek verwendete Metapher versucht ein Bild der westlichen Gesellschaft (Schiff der Freiheit) zu zeichnen, in der die Juden als „Kapitäne“ und die Freimaurer als antreibende „Maschinisten“ die Geschicke des Westens steuern. Der angeblich böswillige, destruktive und heimtückische Charakter der Juden wird in diesem Zitat hervorgehoben. Der metaphorische Gebrauch entspricht hier der Vorstellung des gemeinschaftszersetzenden Einflusses der Juden. Die Schiffscrew, die sich aus „Konvertiten“ zusammensetzt, ist eine antisemitische Chiffre für die jüdische Minderheit der Türkei: Damit sind die türkischen Mitglieder einer „kryptojüdischen“ kabbalistischen Religionsgemeinschaft gemeint, die ein Zweig des sogenannten Sabbatianismus sind. Sie sind in der Vergangenheit oft Gegenstand verschiedenster türkisch-nationalistischer Verschwörungstheorien geworden. Özcan teilte dieses Zitat auf seinem Profil. Der Post ist öffentlich und kann von jedem eingesehen werden.

Und wer ist die HSG KulTürk?
KulTürk ist eine Hochschulgruppe an der Universität Bielefeld, die seit 2015 besteht und in der Vergangenheit wegen ihrer Auswahl von Referenten, die im Verdacht antisemitischer oder genozidleugnerischer Positionen standen, negativ aufgefallen ist. In die Bielefelder Presse kam KulTürk durch die Einladung des umstrittenen Publizisten Andreas Abu Bakr Rieger, der mit seinen antisemitischen Äußerungen über die Vernichtung der europäischen Juden zu erheblichen Spannungen innerhalb der Studierendenschaft sorgte. Um kritische Interventionen während der Veranstaltung durch das Publikum zu unterbinden, filmten Mitglieder der HSG die Zuhörer*innen. KulTürk wird zudem vorgeworfen, Verbindungen zum türkischen Staat zu pflegen und von ihm finanzielle Zuwendungen zu bekommen. In einem Interview mit Hertz 87.9 bestätigte ein Mitglied von KulTürk, dass Zuwendungen seitens des türkischen Staates existieren und in der Gruppe auch rechtsradikale Mitglieder, die der rassistischen Partei der Nationalen Bewegung (MHP) und den „Grauen Wölfen“ nahestehen, aktiv sind. Die Auswahl Özcans als Referent passt also zum ideologischen Gesamtbild dieser HSG.

Demokratischer und friedlicher Protest mit Wolfsgruß und Prügel niedergeschlagen

Die Universität ist ein Ort, an der Menschen unterschiedlicher Herkunft, sexueller Orientierung, mit und ohne Behinderung, Religionen und unterschiedlichen Geschlechts zusammen kommen, gemeinsam studieren und Wissenschaft betreiben. Sie ist ein Ort, in dem menschenfeindliches, rassistisches und antisemitisches Gedankengut weder in der Forschung und Lehre, noch innerhalb der Studierendenschaft zu dulden und zu tolerieren ist. Der antisemitische Facebookbeitrag von Dr. Sezer Özcan veranlasste daher verschiedenste Hochschulgruppen, Listen des Studierendenparlaments, Arbeitsgruppen des AStA und autonome Referate dazu, sich innerhalb einer Stellungnahme gegen jeglichen Antisemitismus zu positionieren. Die Stellungnahme wurde in den sozialen Netzwerken und Medien geteilt und hatte den Zweck zu informieren und einen Diskurs über Antisemitismus an der Universität anzuregen.

Aus der Positionierung heraus entstand bei einer größeren Gruppe von Studierenden der spontane Impuls, einen friedlichen und demokratischen Protest zu organisieren und diesen öffentlich in der Veranstaltung kund zu tun, um damit von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen. Denn wo ein Wissenschaftler mit antisemitischen Facebook-Posts eine öffentliche Bühne bekommt, muss allein aus der historischen Verantwortung Deutschlands an den Untaten des Nationalsozialismus friedlicher Protest, der kurzzeitig die Durchführung der Veranstaltung stört, möglich sein.

Etwa zu Beginn der Veranstaltung entschied sich somit eine Gruppe von Studierenden gemeinsam den Hörsaal zu betreten, ein Transparent auszurollen und den Referenten mit seinem antisemitischen Facebookbeitrag zu konfrontieren. Weil am Eingang des Hörsaals sich eine Gruppe von männlichen Studierenden sammelten, die als Mitglieder der Hochschulgruppe KulTürk identifiziert wurden und sichtlich als „Security“ und „Aufpasser“ fungierten, wählte man den Hintereingang des Hörsaals, um den friedlichen Protest dennoch in den Hörsaal zu tragen.

Als die Studierenden den Hörsaal friedlich betraten und ihr Transparent ausweiten wollten, waren schon die ersten Aufforderungen seitens KulTürk, den Raum schnellstens zu verlassen, zu hören. Binnen Sekunden stürmten vom oberen und unteren Teil des Hörsaals mehrere männliche Mitglieder der Hochschulgruppe KulTürk auf die Gruppe der Studierenden, die zu dem Zeitpunkt ihr Transparent noch nicht geöffnet hatten. In einem schnellen und aggressiven Tempo liefen sie auf die Studierenden zu und nahmen jede Art von Verletzungen anderer in Kauf.

Es wurden immer wieder mehrere aggressive Aufrufe geäußert, die zum Verlassen des Hörsaals aufforderten. Zudem wurde auf Seiten der Angreifer das Handzeichen der islamistischen Muslimbrüder, der faschistische Wolfsgruß und sexistische Beleidigungen wie „Du Hure!“, „Hurenkinder“ und „Ich tue es in deine Vagina (sinngemäß: ich ficke dich!)“. Das Transparent wurde währenddessen von KulTürk-Mitgliedern zerrissen und es folgten die ersten Beleidigungen. Nachdem die Protestierenden den Forderungen von KulTürk nicht folgten, kam es innerhalb von Sekunden zu mehreren heftigen Angriffen und Schubsereien seitens KulTürk. Eines ihrer Mitglieder lief daraufhin aggressiv in den mittleren Teil der Menge und drängte mehrere Protestierende brutal in die Ecke des Hörsaals. Daraufhin folgten von mehreren Seiten Schläge auf sich vorne befindende FLTI*-Personen, die auch unerlaubt angefasst worden sind.

KulTürk versuchte nicht, den geplanten Protest friedlich zu beenden, sondern ließ diesen gar nicht erst zu und griff mit direkter körperlicher Gewalt an. Dabei stürzten sie sich innerhalb von Sekunden blind auf alle Beteiligten und ließen die Situation durch nacheinander folgende Schläge und Beleidigungen eskalieren. Hierbei sei angemerkt, dass sich der Vorfall nur im vorderen Teil des Hörsaals auf Höhe der Tür abspielte und den Studierenden nicht einmal gewährt wurde, den Saal frei zu betreten.
Wir, ein loses Bündnis von Studierenden aus Hochschulgruppen, autonomen Referaten, Arbeitsgemeinschaften des AStAs und aktiven Studierenden der Universität Bielefeld werden für eine Universität ohne Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Nationalismus einstehen. Denn es gilt: Demokratische Errungenschaften müssen sowohl vor völkisch-nationalistischen als auch islamistischen Gruppierungen verteidigt werden.

Wir fordern:

  • Eine Stellungnahme des Rektorats der Universität Bielefeld zu diesem Vorfall
  • Ein konsequentes Durchgreifen in Form eines Verbotes der KulTürk HSG
  • Exmatrikulation von gewaltbereiten Angreifern muss herangezogen werden
  • Die AG Uni ohne Vorurteile soll sich verstärkt mit türkischem Nationalismus und Islamismus auseinandersetzen

 

Unterzeichner*innen:
Antira AG
Junges Forum Deutsch-Israelische Gesellschaft
AStA Uni Bielefeld
AG Freie Bildung
FemRef*
Café Anaconda
Die Linke.SDS Bielefeld
Antifaschismus AG
AG Solidarität International
Liste Solidarität Grenzenlos
YXK/JXK HSG Bielefeld
BDAS Bielefeld
Café EXIL

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